Was bedeutet Nachhaltigkeit im Mittelstand – jenseits von Buzzwords, Berichtsfristen und Perfektionsdruck? In dieser dreiteiligen Reihe ordnen wir die aktuellen Entwicklungen rund um ESG& CSRD ein, zeigen echte Handlungsspielräume für KMU und liefern praktische Einstiege in nachhaltiges Wirtschaften.
Teil I: Zwischen Berichtspflicht und echtem Wandel – wie KMU Nachhaltigkeit realistisch einordnen können
Teil II: Messbar machen statt messen müssen – pragmatische Wege zur Nachhaltigkeitsstrategie
Teil III: Nachhaltigkeit sichtbar machen – Kommunikation, Wirkung und echte Glaubwürdigkeit
Nachhaltigkeit ist kein Konzernprivileg mehr. Immer stärker rückt das Thema auch in den Fokus kleiner und mittlerer Unternehmen. Dabei ist es nicht allein der moralische Anspruch, der den Wandel fordert, sondern eine neue regulatorische Realität: EU-weite Vorschriften, gesellschaftlicher Druck, neue Anforderungen von Auftraggebenden. Doch was bedeutet das für Unternehmen, die weder ein Nachhaltigkeitsteam noch eine eigene Rechtsabteilung haben?
❓ Statt in Aktionismus zu verfallen oder das Thema aufzuschieben, lohnt sich ein genauer Blick: Welche Anforderungen sind real, welche Konsequenzen hat das eigene Handeln bereits heute – und wo liegen Chancen für Innovation, Differenzierung und Zukunftsfähigkeit?
Oft werden Begriffe wie ESG, CSRD oder EU-Taxonomie in einen Topfgeworfen. Das erschwert die Einordnung unnötig. Eine klare Differenzierung hilft, um den eigenen Handlungsrahmen zu verstehen:
CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive)1 verpflichtet Unternehmen dazu, umfassend über ihre Nachhaltigkeitsleistung zu berichten. Dabei steht nicht nur die Darstellung von Umweltkennzahlen im Fokus, sondern vor allem die Analyse, wie das Unternehmen selbst Umwelt und Gesellschaft beeinflusst – und wie externe Nachhaltigkeitsrisiken wie Klimawandel, Ressourcenknappheit oder soziale Konflikte das Unternehmen betreffen (Prinzip der doppelten Wesentlichkeit).
Neben den direkten Berichtspflichten, die vor allem größere Unternehmen betreffen, haben auch kleine und mittlere Unternehmen zunehmend mit Nachhaltigkeitsanforderungen zu tun, etwa durch Kunden, Investoren oder Lieferketten.
Ein zentraler Bestandteil der CSRD ist die systematische Betrachtung von Risiken und Chancen aus Nachhaltigkeitsaspekten. Unternehmen müssen diese Risiken identifizieren, bewerten und in ihre Geschäftsstrategie einbinden, um resilient gegenüber zukünftigen Herausforderungen zu bleiben.2
Hier schließt das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG)3 nahtlos an: Es verlangt, menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken entlang der gesamten Lieferkette zu erkennen, zu minimieren und darüber transparent zu berichten. Dieses Gesetz unterstreicht die Verantwortung von Unternehmen auch für ihre Zulieferer und Partner.
Auch soziale Nachhaltigkeit und Diversity gewinnen an Bedeutung: Faire Arbeitsbedingungen, Chancengleichheit, Inklusion sowie eine vielfältige und guteingebundene Belegschaft werden zunehmend als wesentliche Erfolgsfaktorenverstanden – nicht nur aus ethischer Sicht, sondern auch im Hinblick auf Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit.
In der Praxis greifen ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) als umfassender Bewertungsrahmen, der von Investoren und Partnern genutzt wird, um nachhaltiges und verantwortungsbewusstes Wirtschaften zu beurteilen. Die EU-Taxonomie ergänzt diese Anforderungen, indem sie definiert, welche Aktivitäten als ökologisch nachhaltig gelten und somit förderwürdig sind.
Auch wenn nicht alle Unternehmen direkt berichtspflichtig sind, führt die wachsende Bedeutung von Nachhaltigkeit in Wirtschaft und Gesellschaft dazu, dass frühzeitige Integration von Nachhaltigkeitsmanagement und-berichterstattung zunehmend zum Wettbewerbsvorteil wird. Ob eine Berichtspflicht besteht, lässt sich anhand festgelegter Kriterien prüfen.4
Ein erstaunlicher Befund: Viele mittelständische Unternehmen handeln bereits nachhaltig, ohne es explizit so zu benennen. Sei es durchressourcenschonende Produktion, soziale Verantwortung im Umgang mit Mitarbeitenden oder langfristige Partnerschaften mit regionalen Lieferanten. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt: Gerade im Mittelstand gibt es ein breites, aber oft unsichtbares Nachhaltigkeitsengagement.5
Doch weil diese Aktivitäten selten systematisch dokumentiert oderkommuniziert werden, bleiben sie unsichtbar – sowohl für externe Stakeholder als auch für die eigene Belegschaft. Die Herausforderung liegt weniger im Handeln als in der Strukturierung: Wo stehen wir heute? Welche Maßnahmen sind bereits gelebte Praxis? Und wie können wir darüber sprechen, ohne uns selbst zu überfordern oder unglaubwürdig zu wirken?
Der entscheidende Unterschied zwischen Pflicht und Potenzial liegt in der inneren Haltung. Unternehmen, die Nachhaltigkeit nicht als Bürde, sondern als Gestaltungsspielraum begreifen, agieren resilienter, innovativer und glaubwürdiger. Drei strategische Fragen bieten Orientierung:
Diese Fragen ersetzen keinen formalen Bericht, sie schaffen aber Klarheit. Und sie helfen dabei, Prioritäten zu setzen: Wo können wir beginnen, mit welchem Aufwand, mit welcher Wirkung?
Viele Unternehmen starten mit einer einfachen Bestandsaufnahme. Was liegt bereits an Daten und Informationen vor? Energieverbrauch, Materialeinsatz, Lieferantenstruktur, soziale Leistungen für Mitarbeitende. Es geht nicht darum, sofort umfassende Kennzahlen zu liefern, sondern erste Transparenz zu schaffen.
Hilfreich sind dabei öffentlich zugängliche Checklisten oder Leitfäden, etwa vom Umweltbundesamt, von der Osnabrücker Industrie- und Handelskammer oder Osnabrücker Handwerkskammer. Wer seine Ausgangslage kennt, kann gezielt Maßnahmen entwickeln: vom papierlosen Büro über die Umstellung auf Mehrwegverpackungen bis zur Verbesserung der Energieeffizienz im Betriebsgebäude.
Wichtig: Nachhaltigkeit ist kein Zustand, sondern ein Prozess. Es geht nicht um die perfekte Lösung, sondern um den ersten konsequenten Schritt.
Ein Aspekt wird oft unterschätzt: Nachhaltigkeit entfaltet ihre Wirkung auch nach innen. Wer transparent macht, warum bestimmte Entscheidungengetroffen werden, stärkt das Vertrauen der Mitarbeitenden. Wer Erfolge sichtbarmacht, motiviert. Und wer offen mit Herausforderungen umgeht, wirkt glaubwürdig.
Gerade im Mittelstand, wo Entscheidungswege kurz sind und Teams engzusammenarbeiten, kann eine gemeinsam getragene Nachhaltigkeitskultur zum echten Wettbewerbsvorteil werden. Sie beginnt nicht mit Zertifikaten, sondern mit Gesprächen, Feedback und Beteiligung.
Die regulatorischen Anforderungen rund um Nachhaltigkeit werden nicht weniger. Doch wer sie nur als Belastung versteht, vergibt Chancen. Gerade im Mittelstand bietet nachhaltiges Wirtschaften die Möglichkeit, Resilienz aufzubauen, neue Kunden zu gewinnen und Innovationen zu forcieren.
Der Weg dorthin muss nicht kompliziert sein. Er beginnt mit einer ehrlichen Standortbestimmung, einer klaren Haltung und dem Mut, erste Schritte sichtbar zu machen. Nicht perfekt, aber wirksam. Nicht als Reaktion, sondern als Gestaltungswille.
In Teil II dieser Reihe zeigen wir, wie kleine und mittlere Unternehmen konkret messbare Nachhaltigkeitsfortschritte gestalten können – mit einfachen Mitteln, strukturiert und praxistauglich. Hier gelangst du direkt zu Teil II.
Hinweis: Dieser Beitrag dient der allgemeinen Information und stellt keine rechtliche Beratung dar.
1Bundesministeriumfür Arbeit und Soziales Referat „CSR“ – Gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen (o.J.): Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) – Die neue EU-Richtlinie zur Unternehmens-Nachhaltigkeitsberichterstattung im Überblick. Link hier.
2BaFin (2019): Nachhaltigkeitsrisiken: BaFin veröffentlicht Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken. Link hier.
3Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (o.J.): Lieferketten. Link hier.
4Deutscher Nachhaltigkeitskodex (o.J.): Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Link hier.
5Bertelsmann Stiftung (2024): Nachhaltigkeit im Mittelstand – Die CSRD als Chance oder Herausforderung? Link hier.
Bundesministerium der Justiz (2024): Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen: Europäische Vorgaben sollen möglichst bürokratiearm ins deutsche Recht umgesetzt werden. Link hier.
European Commission (o.J.): Corporate sustainability reporting. Link hier.